15. Ist Jesus GOTT, auch wenn er nicht weiß, wann er wiederkommt?

Christen glauben, dass Jesus von Nazareth GOTT gewesen ist. Und üblicherweise glauben sie auch, dass GOTT allwissend ist und deshalb alles weiß, einschließlich allem, was in der Zukunft geschieht. Jesus hat seinen Jüngern allerdings erzählt, dass er getötet werden wird, nach drei Tagen wieder von den Toten auferstehen wird, in den Himmel aufgenommen werden wird und eines Tages wieder zur Erde zurückkommen wird; und er hat hinzugefügt, dass er den Tag seiner Wiederkunft nicht kennt.

Wenn Jesus ganz GOTT ist, wie kann er dann nicht gewusst haben, wann er zurückkommen wird, wenn es der Vater doch weiß?

Als früherer Trinitarier habe ich geglaubt, dass Jesus GOTT war und ist. Aber ich begann dieses zu hinterfragen, als ich in der Bibel gelesen habe, dass Jesus gesagt hat, dass er den Zeitpunkt seines Wiederkommens nicht kennt. Diese biblische Aussage hat mich veranlasst, ernsthaft über die Identität Jesu nachzuforschen, was dann zu meinem jetzigen Glauben geführt hat: Jesus ist nicht mehr und nichts Höheres als ein von einer Jungfrau geborener, sündlos gebliebener Mensch. Was sagt das nun aus?

Kurz vor seinem Tod und seiner Auferstehung hat Jesus seinen Jüngern über in der Zukunft liegende Ereignisse erzählt, einschließlich des Endes der Welt/dieses Zeitalters. Bezüglich seines Wiederkommens zu diesem Zeitpunkt hat er gesagt: „Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ (Matth 24,36; Mark 13,32). Diese Aussage hat zu großen Diskussionen unter den Theologen geführt.

Irenäus, der angesehenste Theologe des 2. Jahrhunderts, hat mehr als viele andere Kirchenväter der griechischen Religionsphilosophie widersprochen. Diese Aussage Jesu hat die Vollkommenheit der Gottheit stark herausgefordert, von der man gesagt hat, dass Allwissenheit, was auch vollständiges Wissen über die Zukunft beinhaltet, höchste Vollkommenheit bedeutet. Irenäus hat aber, wie alle apologetischen Kirchenväter des 2. und 3. Jahrhunderts, geglaubt, dass Jesus GOTT mit gewissen Einschränkungen ist. Über GOTT den Vater hat er gesagt, „dass GOTT die Oberherrschaft über alles besitzt“, einschließlich über Jesus und dass ER ihn an Wissen „übertrifft“. Irenäus hat demzufolge also geglaubt, dass Jesus zwar GOTT war, dieses aber in einem geringeren Grade als der Vater gewesen ist.

Athanasius, ein Kirchenvater des 4. Jahrhunderts hat, wie fast alle nach ihm kommenden Kirchenväter, dieser Auffassung nicht zugestimmt. Er hat für die maximalistische Sicht der Vorkenntnis Jesu plädiert, dass er als „wahrer Gott“ in irgendeinem Sinne den Tag seines Wiederkommens gewusst haben muss. Athanasius hat die Aussage Jesu unter Verwendung der Auslegung im Sinne der „Zwei- Naturen- Lehre“ behandelt. Die besagt, dass Jesus diesen Zeitpunkt zwar in seiner menschlichen Natur nicht gewusst hat, jedoch in seiner „Gottheit“, d. h. in seiner göttlichen Natur, sehr wohl.

Es hat auch noch andere Meinungen gegeben. Thomas von Aquin und viele andere Theologen haben vorgeschlagen, dass Jesus, Unkenntnis vortäuschend, diese Worte gesagt hat.

Und Augustinus hat postuliert, dass es nicht der Wille des Vaters gewesen ist, dass Jesus zu diesem Zeitpunkt den Tag seiner Wiederkunft gekannt hat. Aber diese Sicht löst nicht das Problem, das mit dem Bestreiten der angeblich völligen Gottheit Jesu entsteht.

In den beiden vergangenen Jahrhunderten haben die Theologen zur Lösung dieses und anderer Probleme eine Theorie vorgeschlagen, die man „Kenosis-Christologie“ nennt. Sie sagen, dass Jesus im Augenblick der Inkarnation einige seiner göttlichen Eigenschaften abgelegt hat oder sich entschieden hat, sie nicht zu gebrauchen, wie zum Beispiel das Vorherwissen. Aber seit Ende des 20. Jahrhunderts ist diese Sicht bei den Gelehrten auf Grund des Arguments, dass Jesus weniger als vollkommener GOTT sein musste, wenn er Teile seiner Gottheit ablegen oder nicht Gebrauch davon machen konnte, in Ungnade gefallen.

Die Zwei-Naturen-Exegese und diese Kenosis-Christologie sind weder biblisch begründet, noch theologisch und anthropologisch in Ordnung. Damit wird der Anschein erweckt, als sei Jesus nicht ehrlich oder vermutlich schizophren gewesen, als er gesagt hat, dass er etwas nicht weiß, was er in Wirklichkeit doch gewusst hat. Damit bringen sie seinen Charakter in Verruf.

Die römisch-katholische Kirche hat bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts an dieser maximalistischen Sicht von dem Vorherwissen Jesu festgehalten. In dem renommierten Dokument der päpstlichen Bibelkommission „Bibel und Christologie“ wird dann aber zugegeben und anerkannt, dass katholische Theologen „in jüngster Zeit erneut das „Wissen“ Christi und die Entwicklung seiner Personalität untersucht haben.“ Einer dieser Theologen ist R.E. Brown gewesen, den das Time Magazine als einen der größten katholischen Bibelgelehrten bezeichnet hat. Er hat geglaubt, dass Jesus GOTT war und hat ausführlich über das Thema des Wissens Jesu geschrieben. Er behauptet, dass der irdische Jesus bezüglich der Zukunft und anderer Dinge ein begrenztes Wissen gehabt hat. Brown gibt zu, dass diejenigen, die wie er schließen, dass Jesus nicht allwissend gewesen ist, sich der Schuld öffnen, „die Gottheit Jesu zu verleugnen“, was er aber nicht will. Er macht in seiner Kirche folgende Beobachtung: „Wir kennen keine kirchliche Aussage, die die Interpretation von Markus 13, 32 in einem wörtlichen Sinne verbietet“, das heißt, dass die ganze Person Jesu den Zeitpunkt seines zweiten Kommens nicht gewusst hat. Brown fügt später hinzu: „Es ist wichtig, dass wir darauf hinweisen, dass es kein Dogma der Kirche über das Ausmaß des Wissens Jesu gibt … die Kirche … hat sich mit geschichtlichen Fragen, wie der, die wir gerade stellen, nicht verbindlich befasst: „Wie viel hat Jesus zu seinen Lebzeiten gewusst?“ 1994 macht Brown folgende Beobachtung: „Das theologische Klima hat sich verändert und sehr bekannte römisch-katholische Theologen ziehen jetzt eine Beschränkung in dem Wissen Jesu in Betracht.“

Ben Witherington erklärt: „Diese Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn hat nicht zur Folge, dass der Sohn alle Dinge kennt, die der Vater weiß. … Die besondere und einmalige ‚Kommunion‘ Jesu mit GOTT schließt das Wissen jeglicher Wahrheit und jedes Geheimnisses nicht mit ein, die/das GOTT ihm nicht offenbart hat.“

A.N.S. Lane behauptet, dass Jesus

„mit höchster Autorität gelehrt hat und übernatürliches Wissen offenbart hat. Aber beides kann nicht mit Allwissenheit verglichen werden. Das Bekenntnis zu einer Allwissenheit des historischen Jesus hat keine biblische Grundlage und läuft den Lehren der Evangelien zuwider. … es untergräbt sein wahres Menschsein wie es in der Schrift gelehrt wird. Es fällt schwer, sehen zu müssen, wie ein allwissender Mensch ernsthaft versucht werden kann, etwas zu tun, von dem er doch gewusst hat, dass er es nicht tun würde. … Aber das Neue Testament bietet nirgendwo die Grundlage für die Glaubwürdigkeit und Autorität einer Lehre Jesu von seiner Allwissenheit. Tatsächlich wird das Gegenteil in der Lehre Jesu bestätigt, nämlich dass seine Lehre nicht seine eigene ist, sondern die seines Vaters.“

Wir dürfen zu dem Schluss kommen, dass Jesus übernatürliches Wissen hatte, wann immer der Vater es ihm offenbart hatte und wenn er es nicht hatte, dann hatte der Vater es ihm nicht offenbart.

Kurz gesagt: Jesus hat ein begrenztes Wissen gehabt; der Vater hat ein größeres Wissen als der Sohn; der Vater ist dem Sohn wesentlich überlegen. Deshalb kann Jesus nicht GOTT sein!