24. Hat Jesus sich „GOTT gleich“ gemacht?

Als Jesus wieder einmal zu einem der Feste nach Jerusalem hinaufgegangen ist, hat er einen Mann an einem Teich sitzen sehen, der offensichtlich von der Hüfte an abwärts gelähmt gewesen ist und das schon seit achtunddreißig Jahren. Jesus hat zu ihm gesagt: „Steh auf, nimm dein Bett auf und geh umher!“ (Joh 5, 8). Der Mann hat das gemacht, aber weil es Sabbat gewesen ist, hat man ihm vorgeworfen, den Sabbat gebrochen zu haben.

Der Sabbat ist im jüdischen Kalender der siebte Tag der Woche. Er sollte „heilig“ sein und sich durch die Anbetung GOTTES von den anderen sechs Tagen unterscheiden. Eines der Zehn Gebote verbietet am Sabbat die körperliche Arbeit (2. Mo 20, 8-11). Die Strafe für das Nichthalten des Sabbats ist sehr hart gewesen. Die Thora ist das Gesetz GOTTES und sie stellt sehr eindeutig fest: „Jeder, der am Tag des Sabbats eine Arbeit verrichtet, muss getötet werden.“ (2. Mo 31, 15; s.a. V. 14).

Aber was ist unter Arbeit zu verstehen? Hierzu gibt es keine einfachen Antworten. E.P. Sanders erklärt: „Das geschriebene Gesetz ist sehr unvollkommen; in der Theorie deckt es das ganze Leben ab, aber oft mangelt es ihm in den Details. Konsequenterweise musste es erweitert und für alle möglichen Fälle anwendbar gemacht werden.“

Genau dieser Umstand ist die Ursache gewesen, weshalb die Juden die Thora später interpretiert und in 613 Gesetzen zusammengefasst haben. 39 Gesetze befassen sich mit dem Sabbatbrechen; in ihnen wird u. a. festgelegt, welche Aktivitäten als „Arbeit“ zu verstehen sind. Der vorchristliche Judaismus hat darüber diskutiert, was „Arbeit“ und „Last“ ausmacht. Philon hat behauptet, dass GOTT sein schöpferisches Handeln niemals aufgegeben hat, auch am Sabbat nicht. Die Rabbis sind sich einig gewesen, dass GOTT seine Arbeit als Offenbarer und Richter an jedem Tag ausführt. Viele Rabbis haben behauptet, dass ER seine Schöpfung auch am Sabbat unterstützt, zum Beispiel durch Heilung. Das Judentum hat deshalb den Ärzten erlaubt, am Sabbat zu arbeiten, wenn eine Krankheit oder Verletzung lebensbedrohlich gewesen ist.

Hin und wieder hat Jesus religiösen Irrtum aufgedeckt, entweder in der Lehre der Juden oder in ihrer praktischen Umsetzung. Dabei hat er manchmal darauf hingewiesen, dass einige der 613 jüdischen Gesetze die Thora nicht korrekt wiedergeben; eigentlich hat man mit ihnen die Thora falsch interpretiert.

Eines dieser 39 jüdischen Sabbatgesetze hat das Tragen von Gegenständen am Sabbat verboten. Was herumgetragen worden ist, hat man als „Last“ angesehen, so dass diese Aktivität als „Arbeit“ gegolten hat. Deshalb haben „die Juden“ dem Mann, den Jesus geheilt hat, gesagt, dass es ihm nicht erlaubt ist, sein Bett zu tragen, weil es eine „Last“ gewesen ist (Joh 5, 10). Der Mann hat ihnen darauf geantwortet, dass Jesus ihn aufgefordert hat, dieses zu tun (V. 15).

Deshalb können wir lesen: „Und darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. Jesus aber antwortete ihnen: ‚Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke.‘ Darum nun suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat aufhob, sondern auch GOTT seinen eigenen Vater nannte und sich so selbst GOTT gleich machte.“ (Joh 5, 16-18).

Viele Christen haben diesen letzten Satz falsch verstanden; oft haben sie gemeint, dass er nicht nur das Urteil „der Juden“ wiedergibt, sondern dass er auch die Einschätzung des Verfassers Johannes ist und sie haben geglaubt, dass diese Aussage richtig ist. Aber eine genauere Analyse zeigt, dass Johannes nur die Meinung der Juden wiedergibt, die nicht seine eigene ist.

Jesus hat oft die Thora bestätigt und deshalb den Sabbattag auch heiliggehalten. Er hat jedoch gegen zwei der 39 jüdischen Gesetze verstoßen, die das Sabbathalten geregelt haben. Diese beiden Gesetze besagten, dass es nicht gestattet ist, am Sabbat jemanden zu heilen und eine Last zu tragen. Aber die Gebote des Menschen sind nicht notwendigerweise auch die Gebote GOTTES und weniger noch sind die Interpretationen des Menschen immer korrekt.

Nach dem Bericht der Bibel hat Jesus an mindestens vier verschiedenen Sabbaten Menschen geheilt. Jedes Mal haben ihn die religiösen Führer angeklagt, den Sabbat gebrochen zu haben. Manchmal ist er seinen Anklägern entgegengetreten, indem er sie gefragt hat, ob sie ihr Vieh oder ihren Sohn nicht auch sofort retten würden, wenn es oder er an einem Sabbat in einen Brunnen gefallen ist. Jesus hat dann auch noch erklärt, dass Menschen noch wertvoller als die Tiere sind. Damit hat Jesus von sich gewiesen, dass er den Sabbat gebrochen hat, weil GOTT das Heilen und die Errettung von Menschen aus lebensbedrohlichen Situationen an diesem heiligen Tag nicht verurteilt. Deshalb hat auch Johannes nicht seine eigene Meinung zum Ausdruck gebracht, dass Jesus sich „GOTT gleich gemacht“ habe; das ist die Meinung der Juden gewesen. Er schreibt, dass sie versucht haben, Jesus zu töten, weil sie ihm unterstellten, dass er den Sabbat gebrochen und sich GOTT gleich gemacht hat, als er GOTT seinen Vater genannt und seine eigenen Werke mit GOTTES Werken in Verbindung gebracht hat. Aber Jesus hatte seine Jünger immer gelehrt, GOTT „Vater“ zu nennen und keiner der Christen hat jemals geglaubt, dass sie sich auch GOTT gleich gemacht haben, wenn sie IHN so nannten. Und außerdem haben Christen immer schon geglaubt, dass GOTT viele Seiner Werke durch treue, gehorsame Menschen tut.

Viele Bibelleser begreifen leider nicht, dass die Antwort Jesu, die uns in Joh 5, 19-47 berichtet ist, die klare Verneinung ist, dass er Gleichheit mit GOTT beansprucht hat. Johannes schreibt: „Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen“ (V. 19). Das heißt, dass Jesus eine Widerlegung vorgebracht hat. Johannes berichtet, was Jesus zu diesem Vorwurf gesagt hat. Er hat den Juden erklärt:„Der Sohn kann nichts von sich selbst tun“ und „Ich kann nichts von mir selbst tun“ (Verse 19 u. 30). Mit diesen Worten gesteht Jesus sein eigenes Unvermögen ein und weist auf seine völlige Abhängigkeit von seinem GOTT und Vater hin. Er sagt, dass der Vater ihm die Kraft gegeben hat, Wunder zu tun (V. 36) und die Befugnis, Tote aufzuerwecken (V. 21), ewiges Leben zu geben (V. 26) und zu richten und Gericht zu halten (V. 22, 27, 30). Somit offenbart Jesus, dass er alle diese Dinge nicht aus seinem eigenen Vermögen heraus tun kann, sondern dass er die Fähigkeit dazu vom Vater erhalten hat, womit er zeigt, dass er selbst nicht GOTT ist.

Außerdem hat Jesus in diesem Kapitel den Vater den „alleinigen GOTT“ genannt (Joh 5, 44). Und später hat er zu dem Vater gebetet und IHN „allein wahrer GOTT“ genannt (Joh 17, 3). Beide Male hat er damit das Shema bestätigt, das kurze Glaubensbekenntnis der Juden. Dieses heißt: „Höre, Israel: Der HERR [Jahwe] ist unser GOTT, der HERR allein!“ (5. Mo 6,4). Die Juden haben diese Worte immer so verstanden, dass damit gemeint ist, dass GOTT zahlenmäßig einer ist, was ihre Schriften oft bestätigen.

Kurz gesagt: Jesus offenbart auch nach dem Bericht des Johannes seine völlige Abhängigkeit von seinem GOTT und Vater und seine Unterordnung unter IHN. Das ist der klare Beweis, dass er sich nicht GOTT gleich gemacht hat. Diese Klarstellung scheint seine Gegner zufriedengestellt zu haben, denn auch beim Verhör Jesu durch den Hohen Rat ist kein Zeuge aufgetreten, der vorgetragen hat, dass Jesus behauptet hatte, GOTT zu sein oder GOTT gleich zu sein.