Christus - der künftige König der Welt
CHRIST THE FUTURE KING OF THE WORLD / von Robert Roberts, engl., 1884
Mit freundlicher Genehmigung des Übersetzers (Gabor Urban)
Vorwort
"Predige das Wort, stehe bereit zu gelegener und ungelegener Zeit; überführe, weise zurecht, ermahne mit aller Langmut und Lehre! Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen … und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren und sich zu den Fabeln hinwenden" (2.Tim 4,2-4).
Der 22-jährige Journalist Robert Roberts hatte sich diese Worte zu Herzen genommen. Von Dezember 1861 bis Februar 1862 hielt er in Huddersfield (England) 12 öffentliche Vorträge. Der Verirrung des volkstümlichen Christentums stellte er die logische biblische Wahrheit entgegen, auf dass die heilige Schrift weitere Menschen weise mache zur Rettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist.
Seine Vorträge erschienen noch im selben Jahr in gedruckter Form. Die ursprünglichen 12 Abschnitte wurden 1884 in 18 Lehrthemen unterteilt und bilden seitdem den Inhalt des Buches
CHRISTENDOM ASTRAY FROM THE BIBLE
"Christentum in der Verirrung" hat bereits vielen Menschen geholfen, das Wort Gottes besser zu verstehen. So hatte sich auch Bruder Albert Maier, der erste deutsche Christadelphian,
"viel darum bemüht, die Hauptpunkte der biblischen Wahrheit in die deutsche Sprache zu übersetzen. Es waren hauptsächlich Kapitel aus den Büchern von Bruder Dr. Thomas und Bruder Robert Roberts. Diesmal (kurz vor dem 1. Weltkrieg aus den USA zurückkehrend) hatte Bruder Albert Maier eine Kiste voller Bücher, Broschüren und Manuskripte mitgebracht." Auch Ludwig "Knupfer hat durch viele Übersetzungsarbeiten sehr viel an der Schaffung einer christadelphischen Literatur in Deutsch mitgewirkt" (Gustav Bogner: Geschichte der Christadelphians in Deutschland).
So übersetzte Ludwig Knupfer 1925 auch Robert Roberts’ Standardwerk Christendom Astray, allerdings wurde seine Arbeit leider nie als Buch veröffentlicht.
Als Einzelhefte jedoch, und in etwas überarbeiteter Form, erschienen seit 1988 die folgenden Kapitel:
- Kap. 1: "Was ist die Bibel und wie muss sie erklärt werden?"
- Kap. 2: "Die Natur und Gottes Wort bezeugen, dass der gesamte Mensch sterblich ist"
- Kap. 3: "Die Toten haben bis zur Auferstehung kein Bewusstsein"
- Kap. 4: "Die Unsterblichkeit ist nur durch Erfüllung gewisser Bedingungen bei der Auferstehung zu erlangen"
- Kap. 5: "Das zukünftige Gericht"
- Kap. 6: "Gott, Geist, Engel, Jesus Christus und die Kreuzigung"
- Kap. 7: "Der Teufel ist kein persönliches übernatürliches Wesen"
- Kap. 8: "Das Königreich Gottes ist noch nicht Wirklichkeit, sondern soll an einem künftigen Tag sichtbar auf der Erde aufgerichtet werden"
- Kap. 9: "Die den Vätern Abraham, Isaak und Jakob gemachten Verheißungen sollen bei Aufrichtung des Königreiches auf Erden erfüllt werden"
- Kap. 15: "Kommende Wirren und die Wiederkunft Christi"
Mit Kapitel 11 wird die Reihe deutschsprachiger Christadelphischer Literatur nun weiter ergänzt. Möge solche Literatur den interessierten Leser zum beständigen und freudigen Forschen in Gottes heiligem Wort anregen und Geschwistern im Herrn eine bewährte Hilfe sein, in der Wahrheit auszuharren und geduldig auf die Zeit zu warten, da dem Sohn des Höchsten
"der THRON seines Vaters DAVID gegeben wird" (vgl. Lk 1,32).
G. Urban (Mai 2013)
Kapitel 11
Christus, der künftige König der Welt
ZIEL dieses Vortrags ist, zu beweisen, dass die Zeit kommt, da der Sohn Gottes, der jetzt im Himmel ist, leibhaftig und sichtbar auf die Erde zurückkehren wird, um alle menschlichen Regierungen, die weltlichen wie die geistlichen, zu entmachten, um an ihrer Stelle die Alleinherrschaft über die Menschheit aufzurichten. Der wesentliche Bestandteil der Messianität Jesu Christi und das hervorragendste Merkmal seiner Person, wie sie in der ganzen Heiligen Schrift dargestellt wird, ist sein KÖNIGTUM. Deshalb ist jeder Glaube, der dieser Seite seiner Person keine Beachtung schenkt, auf folgenschwere Weise fehlerhaft. Hiervon sollte sich jeder selbst überzeugen, denn es geht um eine Angelegenheit, die für jeden einzelnen von ganz entscheidender Bedeutung ist.
In der Heiligen Schrift wird sehr viel mehr über das Königtum Christi gesagt als über irgendetwas anderes. Besonders im Alten Testament wird sehr wenig von der Schmach und den Leiden erwähnt, denen er auf Grund der Sünde unterworfen werden musste. Sein Opfer bleibt größtenteils im Hintergrund. Was hingegen mit unverkennbarem Glanz hervorragt, ist die Herrlichkeit, die die Erde bedecken soll, wenn er in Gerechtigkeit regieren wird. Dies gilt auch fürs Neue Testament, obgleich es uns mehr von dem "Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut" erzählt als das andere.
Jeder, der sich zum Glauben an Christus bekennt, gibt bereitwillig zu, dass er ein König ist. Es liegt aber auf der Hand, dass dieses Zugeständnis nur dann gültig ist, wenn damit das wahre Wesen jenes Amtes anerkannt wird. Wenn ein Mensch sagt, dass Jesus der Christus sei, bzw. der Gesalbte, gleichzeitig aber eine ganz irrtümliche Vorstellung davon hat, was diese Feststellung bedeutet, so sind seine Worte nichts als leerer Schall. Worte sind wertlos, wenn sie nicht das meinen, wofür sie eigentlich stehen. Dass dies bei der volkstümlichen Anerkennung des Königtums Christi der Fall ist, wird sich sogleich zeigen. Die volkstümliche Anerkennung des Königtums Christi drückt eine falsche Sichtweise aus und verkennt zugleich diejenige, die in der Heiligen Schrift dargelegt wird. Unter Christi Königtum wird im Allgemeinen seine geistliche Machtausübung im Himmel verstanden; die Messianität Christi, im eigentlichen Sinne des Wortes, wird damit aber, wie wir gleich sehen werden, in keinster Weise anerkannt.
Es wird zwar zugegeben, dass die jüdische Messiaserwartung darin bestand, dass er leibhaftig auf der Erde erscheinen und sichtbar die Königsmacht über alle Völker ausüben sollte; auch wird zugegeben, dass die Jünger selbst dieselbe Ansicht teilten. Die große Streitfrage ist nun aber, ob diese Ansicht richtig ist. Unsere religiösen Lehrer wagen die Behauptung, dass diese Ansicht weit davon entfernt wäre, richtig zu sein; es handele sich um einen groben Irrtum rein fleischlicher Natur. Sie verurteilen den Gedanken eines sichtbaren Königreichs auf der Erde mit allem Nachdruck, nennen ihn judaistisch, niedrig, "irdisch, sinnlich, teuflisch", er stünde im krassen Widerspruch zum Geist des Christentums; und was die Lehrer predigen, das glauben die Leute. Auf diese Weise ist die These der "falschen jüdischen Nationalhoffnung und Erwartung der Jünger" zu einem unbestrittenen Artikel volkstümlichen Glaubensbekenntnisses geworden; und die Leute schauen ganz überrascht und ungläubig, wenn jemand diese Dinge ernsthaft verteidigt.
Schauen wir uns nun unvoreingenommen an, wie die Dinge wirklich liegen. Waren die Erwartungen der Jünger irrtümlich und fleischlich? Wenn ja, wie kommt es, dass Christus sie nicht als solche bezeichnete? Und wie kann es sein, dass in den Briefen keiner der Apostel einen Irrtum in diese Richtung eingesteht, obwohl einige erst nach der Zeit entstanden, da ihre Irrtümer angeblich ausgeräumt wurden? Diejenigen, die behaupten, die Juden und die Jünger seien in diesem Glauben irregeleitet gewesen, missachten die Tatsachen. Die volkstümliche Verurteilung dieser Dinge findet nicht nur keinerlei Unterstützung in der Heiligen Schrift, sondern im Gegenteil; das gesamte Schriftzeugnis spricht sich gerade für die so häufig verurteilte Lehre aus.
Jesus sprach zu denen, die ihn hörten: "Meint nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen" (Mt 5,17). Betrachten wir also, angesichts dieser Feststellung, einige Aussagen der Propheten über ihn. In Micha 5,1 lesen wir:
"Und du, Bethlehem Efrata, das du klein unter den Tausendschaften von Juda bist, aus dir wird mir hervorgehen, der HERRSCHER ÜBER ISRAEL sein soll."
Wer kam aus Bethlehem? Jesus von Nazareth. Also sind wir durch den Propheten ermächtigt, ihn als künftigen "Herrscher über Israel" anzusehen.
"Siehe, Tage kommen, spricht Jahweh, da werde ich dem David einen gerechten Spross erwecken. Der wird ALS KÖNIG REGIEREN UND VERSTÄNDIG HANDELN UND RECHT UND GERECHTIGKEIT ÜBEN IM LAND. In seinen Tagen wird Juda gerettet werden und Israel in Sicherheit wohnen" (Jer 23,5-6).
Was könnte mehr darauf angelegt sein, die jüdische Nationalhoffnung zu wecken? Was geeigneter, um die Erwartungen der Jünger hervorzurufen, für die sie heute als "fleischlich" verurteilt werden? Wer ist der gerechte Spross Davids? Kein anderer als Jesus. Er selbst nimmt diese Bezeichnung für sich in Anspruch und sagt: "Ich bin die Wurzel und der Spross Davids, der glänzende Morgenstern" (Off 22,16, Schlachter). Wenn Christus der gerechte Spross ist, der David erweckt wurde und gekommen ist, das Gesetz und die Propheten zu erfüllen, dann muss er auch "als König regieren und verständig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben IM LAND"; denn das wird der gerechte Spross gemäß der Ankündigung des Propheten tun. Dieser Gedanke beschränkt sich nicht auf ein oder zwei Bibelstellen, sondern kommt in unzähligen Schriftzeugnissen zum Vorschein, von denen wir nun einige betrachten werden:
"Siehe, Tage kommen, spricht Jahweh, da erfülle ich das gute Wort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda geredet habe. In diesen Tagen und zu dieser Zeit werde ich dem David einen Spross der Gerechtigkeit hervorsprossen lassen, der wird Recht und Gerechtigkeit üben im Land" (Jer 33,14-15).
"Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben AUF DEM THRON DAVIDS UND ÜBER SEIN KÖNIGREICH, um es zu befestigen und zu stützen durch Gericht und durch Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit. Der Eifer Jahwehs der Heerscharen wird dies tun" (Jes 9,5-6).
"Siehe, ein Mann, SPROSS ist sein Name! Denn er wird aus seinem Orte hervorsprossen … und wird auf seinem Thron sitzen und herrschen. Auch wird ein Priester auf seinem Thron sein" (Sach 6,12-13).
"Er wird richten zwischen den Nationen und für viele Völker Recht sprechen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Nicht wird Nation gegen Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen" (Jes 2,4).
"Und Jahweh wird König sein über die ganze Erde; an jenem Tag wird Jahweh einer sein und sein Name einer" (Sach 14,9).
"Siehe, ein König wird in Gerechtigkeit regieren; und die Obersten, sie werden nach Recht herrschen" (Jes 32,1).
"Jahweh der Heerscharen wird alsdann auf dem Berge Zion regieren und vor seinen Ältesten zu Jerusalem, in Herrlichkeit" (Jes 24,23, Schl.).
"Das Land wird voll von Erkenntnis Jahwehs sein, wie von Wassern, die das Meer bedecken. - Und an jenem Tag wird es geschehen: der Wurzelspross Isais, der als Feldzeichen der Völker dasteht, nach ihm werden die Nationen fragen; und seine Ruhestätte wird Herrlichkeit sein" (Jes 11,9-10).
"Jauchze und juble, Bewohnerin von Zion! Denn groß ist in deiner Mitte der Heilige Israels" (Jes 12,6). "Und ich mache sie (die Juden) zu einer Nation im Land, auf den Bergen Israels, und ein einziger König wird für sie alle zum König sein" (Hes 37,22).
"Jahweh hat David einen Treueid geschworen, er wird nicht davon abweichen: Von der Frucht deines Leibes will ich auf deinen Thron setzen" (Ps 132,11).
"Spruch Jahwehs für meinen Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde gemacht habe zum Schemel deiner Füße! Den Stab deiner Macht wird Jahweh aus Zion ausstrecken. Herrsche inmitten deiner Feinde!" (Ps 110,1-2).
"Ich will dir die Nationen zum Erbteil geben, zu deinem Besitz die Enden der Erde" (Ps 2,8).
"Er möge herrschen von Meer zu Meer und vom Strom bis an die Enden der Erde … Und alle Könige sollen vor ihm niederfallen, alle Nationen ihm dienen." (Ps 72,8.11). (Siehe auch Daniel 7,14).
Das sind nur einige der vielen Schriftzeugnisse, welche allesamt dieselbe Bedeutung haben; und die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, ob diese nicht mehr als genug die Erwartungen rechtfertigen, welche die Juden - wie jeder zugibt - gerade aufgrund dieser Zeugnisse aufgebaut haben. Ja, hätten sie sich überhaupt konsequent zum Glauben an solche Zeugnisse bekennen können, ohne derartige Erwartungen zu hegen? Es ist unmöglich sich eine Sprache vorzustellen, die noch deutlicher den einen Gedanken der sichtbaren Offenbarung Christi als König auf der Erde zum Ausdruck brächte; und wenn die Juden im Unrecht waren, als sie eine solche Offenbarung erwarteten, so war das nicht ihre Schuld. Dann geschah das nicht, weil sie fleischlich gesinnt waren, sondern weil die Sprache der damaligen heiligen Menschen, die "redeten, getrieben vom Heiligen Geist", so gestaltet war, dass sie gar nicht in der Lage waren, zu einem anderen Gedanken zu kommen als nur zu jener einen Erwartung, die sie daraus ableiteten.
Nun kann man einwenden, dass die neutestamentliche Auslegung ein anderes Licht auf die Aussagen des Alten Testaments wirft und ihnen die Rechtfertigung entzieht, die sie der jüdischen Lehre vom Königtum des Messias zu verleihen scheinen. Diese Annahme ist weit verbreitet; wird sie aber genau untersucht, so zeigt sich, dass sie gänzlich unbegründet ist, und dass das Neue Testament auf unmissverständliche Weise die Lehre der Propheten zu diesem Thema bestätigt. Uns begegnet bereits ganz am Anfang des Neuen Testaments die Botschaft des Engels Gabriel an Maria, als er die Geburt Christi ankündigt:
"Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen JESUS nennen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird IHM DEN THRON SEINES VATERS DAVID GEBEN; und er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit, und seines KÖNIGTUMS wird kein Ende sein" (Lk 1,31-33).
Dies ist eine deutliche neutestamentliche Erklärung, dass es Gottes Absicht ist, Jesus "den Thron seines Vaters David" zu geben. Wenn wir die Tragweite dieser Aussage verstehen wollen, müssen wir zunächst wissen, was unter dem Thron Davids zu verstehen ist. Über David wissen wir ja etwas. Er war der berühmteste von Israels gottgesalbten Königen, hielt die Herrschaft über die zwölf Stämme Israels und beherrschte auch viele tributpflichtige Völker. Er war ein gewaltiger Krieger, ein bedeutender Prophet und ein Dichter höchsten Grades. Er war der Vorfahr Christi durch Maria, die aus dem königlichem Haus abstammte, und ein passendes Bild auf seinen erhabenen Sohn, den er als "mein Herr" (Mt 22,43f) anerkannte. Aber wie steht es mit seinem Thron? Petrus sagte in seiner Pfingstrede an die Juden:
"Da er nun ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm mit einem Eid geschworen hatte, einen aus der Frucht seiner (Davids) Lende AUF SEINEN THRON ZU SETZEN, …" (Apg 2,30).
Es besteht also eine enge Beziehung zwischen dem Auftrag Christi und dem Thron Davids. Hatte David einen Thron? Jawohl. Worin bestand er? Sicherlich nicht in dem Materialgefüge, auf dem er zu sitzen pflegte, um Recht zu sprechen; denn jener Sitz ist längst in Staub gesunken. Unter dem "Thron eines Königreiches" ist nicht der buchstäbliche Sitz zu verstehen, den die Majestät bei Staatsanlässen einnimmt. Wenn wir vom Thron Englands sprechen, meinen wir damit das Amt des Monarchen in jenem Land. So war es auch mit dem Thron Davids. Anlässlich des Amtsantritts Salomos steht geschrieben: "Und Salomo setzte sich auf den Thron seines Vaters David" (1.Kön 2,12). Jedoch lesen wir in 1.Könige 10,18, dass er "einen großen Thron aus Elfenbein machte und ihn mit reinem Gold überzog". Während Salomo also im politischen Sinne auf dem Thron seines Vaters David saß, nahm er in Wirklichkeit einen anderen königlichen Sitz ein. "Der Thron Davids" bezieht sich auf etwas, das ausschließlich dem Nachfolger Sauls gebührte. Darüber kommt man nicht hinweg; und jede Erklärung der Verheißung, die diese grundlegende Tatsache außer Acht lässt, muss als unwürdig abgelehnt werden.
So zum Beispiel die Ansicht, Christus würde gegenwärtig auf dem Thron Davids sitzen. Christus ist im Himmel. Er kann somit nicht auf jenem Thron sitzen, zumal David nie Besitztümer im Himmel hatte. David selbst ist nicht dort, denn Petrus sagte in seiner Pfingstrede (Apg 2,34): "David IST NICHT IN DIE HIMMEL AUFGEFAHREN." Wenn die Zeit kommt, wird der Thron Davids wieder auf der Erde aufgerichtet werden; und Jesus wird ihn, wie in Off 3,21 angekündigt, mit seinen Getreuen teilen. "An jenem Tag richte ich die verfallene Hütte Davids auf" (Amos 9,11). Jesus sprach von jener Zeit, als er auf der Erde war. Er sagte (Mt 25,31): "Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, DANN wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen." Ehe also Jesus auf dem Thron Davids sitzt, wird er auf die Erde zurückkehren, im Land Israel erscheinen und die Stellung einnehmen, die David besaß, als er das Zepter über Israel schwang; das heißt, er wird König der Juden werden.
Man betrachte Hesekiel 21,30-32. Der Prophet wurde zu Zedekia gesandt, einem unwürdigen Fürsten, der den Thron Davids als letzter innehaben sollte. Er wurde gesandt, um ihm von der kommenden Vergeltung zu berichten, und im Verlauf seiner Prophezeiung äußerte er die folgenden Worte:
"Und du, entweihter Gottloser, Fürst Israels, dessen Tag gekommen ist zur Zeit der endgültigen Strafe! So spricht der Herr, Jahweh: Weg mit dem Kopfbund, und fort mit der Krone! Nichts bleibt, wie es ist. Das Niedrige soll erhöht und das Hohe erniedrigt werden! Zu Trümmern, Trümmern, Trümmern mache ich es. Auch das bleibt nicht - BIS DER KOMMT, DEM DAS RECHT GEHÖRT; dem gebe ich es."
Hier sollten Kopfbund und Krone abgenommen, und ein Nationalstaat völlig vernichtet werden, wie in der dreifachen Wiederholung des Wortes "Trümmern" angedeutet und durch den Satz "das bleibt nicht" ausgedrückt wird. Die Vorhersage bezog sich auf das jüdische Staatswesen, also auf die Dinge, die den Thron Davids ausmachen; und ihre Erfüllung ist allen, die sich mit der jüdischen Geschichte befassen, wohlbekannt. Etwa ein Jahr nach der Vorhersage wurde Zedekia von Nebukadnezar abgesetzt. Die Edlen wurden getötet; das Volk teils niedergemetzelt, teils gefangen weggeführt, und das Land der Verwüstung hingegeben. Siebzig Jahre danach fand unter Esra und Nehemia eine teilweise Wiederherstellung statt, nicht aber die des Thrones Davids. Von da an existierten die Juden nur noch als Vasallenvolk und wurden nach wechselvollen politischen Schicksalen von einem Sturm erfasst, der jede Spur ihres nationalen Daseins wegfegte.
Die Römer fielen unter Vespasian ins Land ein und unterwarfen seine befestigten Plätze; und nachdem Vespasian den Oberbefehl an Titus übergeben hatte, begann dieser mit der Belagerung Jerusalems, das damals voll von Menschen aus allen Teilen des Landes war. Die Einzelheiten dieser schrecklichen Belagerung sind allen bekannt. Die Stadt wurde über Monate hinweg hartnäckig belagert; unter den Einwohnern entstand eine Hungersnot; innere Streitigkeiten in den Ratsversammlungen führten zu gegenseitigem Gemetzel. Schließlich wurde die Stadt geplündert und den Flammen übergeben. Über eine Millionen Juden kamen um. Die Übriggebliebenen wurden als Sklaven verkauft und als Flüchtlinge im ganzen Römischen Reich zerstreut; und sie sind zerstreut geblieben bis zum heutigen Tag (so zumindest in den 1860ern, als dieser Vortrag gehalten wurde). Die Prophezeiung ist auf so schreckliche Weise in Erfüllung gegangen, dass der Thron Davids während der letzten zwanzig Jahrhunderte eine leere Phrase geblieben ist, eine Tradition aus vergangenen Zeiten. Sein Königreich ist gestürzt worden, sein Land liegt verwüstet da, und sein Volk wandert heimatlos umher; sie finden kein Mitleid und sind des Mitleids nicht mehr fähig.
Aber soll dieser Zustand des Thrones Davids ewig währen? Sollen die Nationen für immer ihre stolzen Hörner über das gefallene Königreich Jahwehs erheben? (siehe 1.Chr 29,23; 2.Chr 9,8; 13,8; das Königreich Israel ist das Königreich Gottes gewesen). Nein, sagt die Prophezeiung; die Verwüstung soll nur so lange dauern, BIS – ja, bis wann genau? – "bis DER KOMMT, dem das Recht gehört." Und wer ist das? Kein anderer als Jesus Christus, dem der Thron rechtmäßig gehört, sowohl infolge direkter Abstammung als auch durch konkrete Anordnung Gottes. Man beachte daher die klar belegte Tatsache, dass die Dinge, die zu Trümmern gemacht wurden, genau die Dinge sind, die Christus bei seiner Wiederkunft erhalten soll. Und welche Dinge waren das? Der Kopfbund Davids, seine Krone, sein Thron und sein Königreich. Wenn also DER KOMMT, der das Recht auf diese Dinge hat, so werden sie ebenso real in seinen Besitz gelangen, wie sie einst Zedekia in Besitz hatte. Er wird der König der Juden werden und Herr der ganzen Erde. Auf diese Weise sehen wir auch, welch bemerkenswerte Bedeutung die Worte des Engels haben:
"Der Herr, Gott, wird ihm DEN THRON SEINES VATERS David geben; und er wird über DAS HAUS JAKOBS herrschen in Ewigkeit, und SEINES KÖNIGTUMS wird kein Ende sein."
Gehen wir in unserer Erforschung des Neuen Testaments einen Schritt weiter, so kommen wir zur Geburt Christi und stoßen auf folgendes Ereignis:
"Als aber Jesus zu Bethlehem in Judäa geboren war, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise vom Morgenland nach Jerusalem, die sprachen: Wo ist DER KÖNIG DER JUDEN, der geboren worden ist?" (Mt 2,1)..
Die Frage der Weisen war verständlich angesichts all dessen, was die Propheten über den, der Herrscher über Israel sein soll, vorhergesagt hatten. Wenn aber Christus ausschließlich der allumfassende geistliche Heiland der Menschheit ist, so ergeben ihre Worte keinen Sinn. Denn wie könnte Christus "der König der Juden" sein, wenn er ausschließlich in umfassender geistlicher Beziehung zum gesamten Menschengeschlecht stünde? Jemand könnte nun einwerfen, dass er der König der "Juden im Geist" ist, also derer, die nicht äußerlich, sondern im Herzen Juden sind. Darauf lautet die Antwort, dass Christus nicht König über sein eigenes Volk ist. Er sagt von ihnen:
"Ich nenne euch nicht Sklaven, sondern Freunde" (vgl. Joh 15,15).
Sie sind seine Brüder, "Miterben Christi" (Röm 8,17), dazu bestimmt, mit ihm zu herrschen für tausend Jahre" (Off 20,6). Sie sind nicht seine Untertanen, sondern bilden zusammen seine Braut, "das Weib des Lammes" (Off 21,9) – womit die engste Gemeinschaft und völlige Gleichheit gemeinsamer Interessen zum Ausdruck gebracht wird. Christus kann daher nicht in irgendeinem geistlichen Sinne König der Juden sein. Er ist König der Juden, über die auch David König war; denn er ist der Erbe seines Thrones. Dass dies das Wesen seines Anspruchs war, wie es seine Zeitgenossen verstanden, geht klar aus dem hervor, was auf die Frage der Weisen folgt:
"Als aber der König Herodes es hörte, wurde er bestürzt und ganz Jerusalem mit ihm; und er versammelte alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus geboren werden solle. Sie aber sagten ihm: Zu Bethlehem in Judäa; denn so steht durch den Propheten geschrieben: »Und du, Bethlehem, Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel hüten wird.« … Und (Herodes) sandte hin und ließ alle Jungen töten, die in Bethlehem und in seinem ganzen Gebiet waren, von zwei Jahren und darunter, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erforscht hatte" (Mt 2,3-6.16).
Wozu diese ganze Aufregung? Wenn Christus lediglich ein geistlicher Herrscher im volkstümlichen Sinne hätte werden sollen, der vom Himmel aus Macht auf die Herzen der Menschen ausübt, ohne im geringsten in die weltlichen Angelegenheiten von Königen auf der Erde einzugreifen, so ist es unverständlich, warum Herodes so eifersüchtig auf ihn gewesen sein sollte. Christi geistliche Herrschaft hätte doch in keinerlei Weise dem königlichen Zuständigkeitsbereich des Herodes widersprochen.
Aber angenommen, die Frage der Weisen zeugte unmissverständlich von der Tatsache der Rolle Christi als König, der von Gott dazu bestimmt war, auf Davids Thron zu sitzen, so ergibt das Vorgehen des Herodes einen ganz natürlichen Sinn. Er war zu jener Zeit der Herrscher über Israel. Er war sogar "König der Juden" im Namen des Römischen Kaisers. Wenn er daher von der Geburt eines Rivalen hörte, der ihm diese Position streitig machen könnte, so wurde er an seiner empfindlichsten Stelle getroffen und seine Eifersucht in stärkstem Maße erregt. Ihm war offenbar klar, dass der Gehorsam des Volkes sich von ihm abwenden und sein eigener Thron in Gefahr kommen würde, wenn er dieses Königskind am Leben ließ. Deshalb fasste er den unmenschlichen Plan, in Bethlehem die Gesamtheit aller Kinder im Säuglingsalter zu ermorden, in der Hoffnung, dadurch den Gegenstand seiner Eifersucht zu vernichten – ein Beweis, dass er in Christus einen zukünftigen Thronanwärter für das buchstäbliche Königtum Israels erkannte.
Wenn wir das Leben Christi weiter verfolgen und seine Aussprüche betrachten, so finden wir ständig Hinweise, die die Richtigkeit der Ansicht der Apostel hinsichtlich seines Königtums bestätigen. Zum Beispiel sagte er während der Bergpredigt: "Schwört nicht bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt" (vgl. Mt 5,35). Geht man vom volkstümlichen Glauben aus, so ist es äußerst schwierig, diesen Worten eine passende Bedeutung beizulegen. Wenn Christus nur deshalb auf die Erde zurückkehren sollte, um sie in das "Feuer des jüngsten Gerichts" zu versenken und jede Spur ihres Daseins aus der Schöpfung auszulöschen, welche Verbindung wäre da noch zwischen ihm und der Stadt möglich, die Zeuge seiner Erniedrigung war, dann aber in jener gewaltigen Zerstörung mit untergehen müsste? In dem vorliegenden Vers behauptet Jesus gerade solch eine Verbindung und erklärt sie für so heilig, dass er uns verbietet, den Namen der Stadt auf Eid zu gebrauchen. Er ist "der große König" – der "mehr als Salomo". Jerusalem aber ist die Stadt. Sie existierte zu der Zeit, als Christus die Worte sprach, die wir gerade betrachten; nur war sie zur Zeit Christi ein großes, wohlhabendes und prachtvolles Zentrum des Königtums und der Bildung. Später wurde sie eine bedeutungslose, von Gräueln heimgesuchte, verfallene und vergleichsweise unbeachtete Stadt im Herzen einer unbedeutenden türkischen Provinz. Gott schenkt ihr aber heute nicht weniger Aufmerksamkeit als je zuvor. Das Schriftzeugnis lautet: "Siehe, in <meine> beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet. Deine Mauern sind beständig vor mir" (Jes 49,16). Eine Zeit lang ist sie nun verwüstet gewesen, wie es der Herr Jesus vorhergesagt hatte. Er sprach:
"Und sie (die Juden) werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt werden unter alle Nationen; und Jerusalem wird zertreten werden von den Nationen, BIS die Zeiten der Nationen erfüllt sein werden" (Lk 21,24).
Auch sagte er (mit Tränen in den Augen):
"Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus wird euch öde (wüst) gelassen; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gepriesen <sei>, der da kommt im Namen des Herrn!" (Mt 23,37-39; Lk 13,34-35).
Hier wurden Zertretung und Verwüstung vorhergesagt. Dass sich dies auf Jerusalem im Land Israel bezieht, wird allgemein zugegeben. Man beachte daher, dass der Ort, über den der Untergang vorhergesagt wird, derselbe ist, auf den sich das "BIS" bezieht, durch das die Vorhersage begrenzt wird. Wenn Jerusalem also von den Nationen zertreten worden ist und "öde" gelassen wurde, so wird sie sich, entsprechend derselben Vorhersage, auch genauso gewiss von ihrem Fall erholen, wenn die Zeit anbricht, die durch das Wort "bis" angedeutet wird. In dem einen Fall kommt das "bis" mit dem Ablauf "der Zeiten der Nationen" und im anderen, wenn das jüdische Volk den gekreuzigten Jesus als den Namensträger Gottes anerkennt. Somit wird erklärt, dass zu jener Zeit Zertretung und Verwüstung aufhören werden. Beide Ereignisse sind gewiss. Das Ende der Zeiten der Nationen, bzw. des Zeitalters der heidnischen Vorherrschaft, ist festbeschlossen (Dan 7,25-27; 9,24-27; Röm 11,25), und wir erfahren im folgenden Schriftzeugnis, dass der Tag kommt, da Christus noch von seinem reuigen Volk, den Juden, angenommen wird:
"Aber über das Haus David und über die Bewohnerschaft von Jerusalem gieße ich den Geist der Gnade und des Flehens aus, und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und werden über ihn wehklagen, wie man über den einzigen Sohn wehklagt, und werden bitter über ihn weinen, wie man bitter über den Erstgeborenen weint" (Sach 12,10).
Wenn diese Dinge erfüllt sein werden, wie steht es dann mit Jerusalem? Folgende Schriftzeugnisse geben die Antwort:
"Und Jahweh wird Juda als sein Erbteil besitzen im heiligen Land und wird Jerusalem aufs neue erwählen" (Sach 2,16).
"Denn Jahweh tröstet Zion, tröstet alle seine Trümmerstätten. Und er macht seine Wüste wie Eden und seine Steppe wie den Garten Jahwehs. Jubel und Freude findet man darin, Lobpreis und Stimme des Gesanges" (Jes 51,3).
"Raff dich auf, raff dich auf! Erhebe dich, Jerusalem, die du aus der Hand Jahwehs den Becher seines Zornes getrunken! Den Kelch, den Becher des Taumels, hast du getrunken, hast <ihn> ausgeschlürft … Darum höre doch dies, die du elend bist und trunken, aber nicht vom Wein! So spricht Jahweh, dein Herr, und dein Gott, der den Rechtsstreit seines Volkes führt: Siehe, ich will den Taumelbecher aus deiner Hand nehmen, den Kelch meines Grimmes, dass du hinfort nimmermehr daraus trinken musst" (Jes 51,17.21-22).
"Wach auf, wach auf! Kleide dich, Zion, in deine Kraft! Kleide dich in deine Prachtgewänder, Jerusalem, du heilige Stadt! Denn nicht mehr länger soll dich ein Unbeschnittener und ein Unreiner betreten … Brecht <in Jubel> aus, jubelt allesamt, ihr Trümmerstätten Jerusalems! Denn Jahweh hat sein Volk getröstet, hat Jerusalem erlöst" (Jes 52,1.9).
"Jahweh der Heerscharen herrscht als König auf dem Berg Zion und in Jerusalem, und vor seinen Ältesten ist Herrlichkeit" (Jes 24,23).
"In jener Zeit wird man Jerusalem den Thron Jahwehs nennen, und alle Nationen werden sich zu ihr versammeln wegen des Namens Jahwehs in Jerusalem. Und sie werden nicht mehr der Verstocktheit ihres bösen Herzens folgen" (Jer 3,17).
"Denn von Zion wird Weisung (bzw. das Gesetz) ausgehen und das Wort Jahwehs von Jerusalem. Und er wird richten zwischen vielen Völkern und Recht sprechen für mächtige Nationen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Nie <mehr> wird Nation gegen Nation das Schwert erheben, und sie werden das Kriegführen nicht mehr lernen" (Mi 4,2-3).
Diese Stellen zeigen uns, dass die Stadt Jerusalem einen wichtigen Platz in Gottes Plänen einnimmt. Sie ist dazu bestimmt, der Sitz jener göttlichen Regierung zu sein, die die Welt im künftigen Zeitalter segnen soll. Genau genommen wird sie die Hauptstadt des kommenden Weltreiches sein. Sie wird für all die glücklichen Völker, die in jenem herrlichen Zeitalter dorthin pilgern werden, um Unterweisung zu empfangen, das Zentrum der Macht, des Gesetzes und der Bildung darstellen. Denn es steht geschrieben:
"Und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufziehen zum Berg Jahwehs, zum Haus des Gottes Jakobs, dass er uns aufgrund seiner Wege belehre und wir auf seinen Pfaden gehen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und das Wort Jahwehs von Jerusalem" (Jes 2,3).
Aus Sacharja 14,16 erfahren wir, dass dieses Hinaufziehen der Völker sich in regelmäßigen Abständen wiederholen wird:
"Und es wird geschehen: Alle Übriggebliebenen von allen Nationen, die gegen Jerusalem gekommen sind, die werden Jahr für Jahr hinaufziehen, um den König, Jahweh der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern."
Wenn sich aber ein Volk auflehnen und dem König der ganzen Erde diese jährliche Huldigung verweigern sollte, so wird man sich unverzüglich darum kümmern. Es wird nicht nötig sein, Heere aufzubieten oder langsame militärische Unterwerfungsmaßnahmen einzuleiten; ein Wort des Königs und sogleich wird die Versorgung vom Himmel her zurückgehalten und Gehorsam erzwungen. Denn es steht geschrieben:
"Und es wird geschehen, wenn eines von den Geschlechtern der Erde nicht nach Jerusalem hinaufziehen wird, um den König, Jahweh der Heerscharen, anzubeten: über diese wird kein Regen kommen" (Sach 14,17).
Der Herr Jesus kannte natürlich das herrliche Schicksal, das der Stadt Jerusalem bevorsteht. Auch wusste er nur allzu gut, welch enge Beziehung er zu ihr haben wird, wenn die Zeit kommt, da seine Landsleute zu ihm sagen werden: "Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn"; mit diesen Dingen im Hinterkopf konnte er jene Worte wählen, die nur diejenigen als völlig zutreffend anerkennen können, die Gottes Pläne verstehen: "Schwört nicht bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt." Sie ist die Stadt des großen Königs, auch wenn sie heute nur ein verachteter Trümmerhaufen ist. Diejenigen, die für die Verheißungen ihrer künftigen Herrlichkeit nur Gelächter übrig haben, machen sich eines abscheulichen Verbrechens gegen Gott schuldig, für das sie einst zur Rechenschaft gezogen werden können. Der große König wollte selbst seinen Freunden nicht erlauben, bei ihrem Namen zu schwören; wie viel weniger wird er da den Hohn der Spötter dulden. Bald kommt er zu seiner Stadt, um in Gerechtigkeit über die Welt zu herrschen, und wehe dem Verächter! Glückselig aber alle, die auf die Erlösung Jerusalems warten (vgl. Lk 2,38). Ihnen gilt das Wort des Propheten:
"Freut euch mit Jerusalem und jubelt über sie, alle, die ihr sie liebt! Frohlockt mit ihr in Freude, alle, die ihr über sie getrauert habt! Damit ihr saugt und euch sättigt an der Brust ihrer Tröstungen, damit ihr schlürft und euch labt an der Fülle ihrer Herrlichkeit" (Jes 66,10-11).
Auf diese Weise ist es uns möglich, aus den Worten Christi in seiner "Bergpredigt" einen starken Beweis für die Wirklichkeit seines Königtums in Bezug auf die Erde zu erhalten. Nathanael, "wahrhaftig ein Israelit, in dem kein Trug war", fügt zu diesem Beweis seine Anerkennung Jesu als Messias hinzu, der er bei seiner Begegnung mit ihm folgenderweise Ausdruck verlieh:
"Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels" (Joh 1,49).
Dass die in diesen Worten ausgedrückte Überzeugung die allgemeine Ansicht der Leute war, zu der sie auf Grund der Lehre Christi gelangt waren, ergibt sich aus der Tatsache, dass sie "ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen" (Joh 6,15). Ihre Zurufe bei seinem triumphalen Einzug in Jerusalem belegen genau dasselbe: "Gepriesen <sei>, der da kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei das kommende Königreich unseres Vaters David!" (Mk 11,9-10).
Christus gab ihnen im Gleichnis von den Weingärtnern allen Grund zu dieser Überzeugung (siehe Lukas 20, ab Vers 9). Der Weinberg, sagt Jesus, wurde von einem gewissen Menschen gepflanzt und an Weingärtner verpachtet. Zur Zeit der Ernte sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, um von der Frucht des Weinbergs zu empfangen. Aber sie misshandelten und töteten sie einen nach dem anderen (V. 10-12). "Der Herr des Weinbergs aber sprach: Was soll ich tun? Ich will meinen geliebten Sohn senden; vielleicht, wenn sie diesen sehen, werden sie sich scheuen. Als aber die Weingärtner ihn sahen, überlegten sie miteinander und sagten: Dieser ist DER ERBE; lasst uns ihn töten, dass das Erbe unser werde. Und als sie ihn aus dem Weinberg hinausgeworfen hatten, töteten sie ihn" (V. 13-15). Dieses Gleichnis bezog sich auf das Volk Israel und dessen Oberste. Das ergibt sich ganz klar aus dem 19. Vers sowie aus einer Feststellung in Jesaja 5,7:
"Der Weinberg Jahwehs der Heerscharen ist das Haus Israel."
Da dem so ist, wollen wir nun die Bedeutung des Gleichnisses betrachten. In den verschmähten Knechten erkennen wir die Propheten, die das Schicksal derer teilten, auf die Christi Worte hinweisen: "Jerusalem, Jerusalem, das da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihm gesandt sind!" Der "Sohn" war der Herr Jesus Christus, wie aus den Worten des Paulus in Hebräer 1,1-2 deutlich wird, die man fast schon als Kommentar zum vorliegenden Gleichnis gelten lassen könnte:
"Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn."
Wenn Christus also der "Sohn" des Gleichnisses ist, so ist er zwangsläufig auch der "Erbe". Aber wovon? Das ist nun die entscheidende Frage; und die Antwort lautet: des Erbes, das die Weingärtner in Händen hielten, denn sie sagten: "Dieser ist der Erbe; lasst uns ihn töten, dass das Erbe unser werde." Wenn nun dieses Erbe aus dem Land und Volk der Juden besteht, dessen Herrscher bzw. "Weingärtner" die Pharisäer waren, und Christus der Erbe dieser Dinge ist, so kann man sich der Schlussfolgerung nicht entziehen, die dieser Vortrag darlegen möchte. Er ist der rechtmäßige Anwärter auf den Thron Davids. "Er kam in DAS SEINE, und die Seinen nahmen ihn nicht an" (Joh 1,11). Warum nahmen sie ihn nicht an? Welches Motiv trieb die Hohenpriester und Obersten soweit, dass sie Jesus umbrachten? Es war nicht nur ihr Hass auf Gerechtigkeit. Wäre Christus einfach nur ein Lehrmeister der Religion gewesen, wie man ihn sich heute gerne vorstellt, so hätten sie zweifellos zu seinen Bewunderern gehört; aber er war doch auch "DER ERBE"! Er war von Gott gesandt, um den Thron Davids einzunehmen und jede entgegengesetzte Autorität und Macht niederzuwerfen. Seine diesbezüglichen Äußerungen brachten ihn unmittelbar auf Kollisionskurs mit ihnen, weil sie das Erbe in Besitz hatten. Deshalb sprachen sie in ihrer gefühllosen und kurzsichtigen Eifersucht: "Lasst uns ihn töten, dass das Erbe unser werde."
So verschworen sie sich, ihn umzubringen, und hatten mit ihren verhängnisvollen Plänen Erfolg. Sie brachten ihn vor Pilatus, der keine Schuld an ihm fand und ihn losgeben wollte (Lk 23,13-16). Das schürte ihren Hass nur noch mehr und enthüllte den wahren Grund ihrer Feindseligkeit. Sie schrien laut: "Wenn du diesen losgibst, bist du des Kaisers Freund nicht; jeder, der sich selbst ZUM KÖNIG macht, widersetzt sich dem Kaiser" (Joh 19,12). Das hatte die gewünschte Wirkung: Pilatus fällte das Urteil. Christus wurde gekreuzigt, und entsprechend römischer Sitte wurde der Inhalt seiner Beschuldigung über dem Kreuz angegeben: "Jesus, der Nazoräer, DER KÖNIG DER JUDEN" (Joh 19,19).
Und auch hier kam das Königtum Christi deutlich zum Vorschein. Er wurde gekreuzigt, weil er "sich selbst zum König gemacht hatte" (vgl. Mt 27,11). Davon zeugte die Aufschrift über ihm. Jene Aufschrift war den Hohenpriestern aber nicht genau genug. Und so lesen wir in Johannes 19,20-21: "Diese Aufschrift nun lasen viele von den Juden … Die Hohenpriester der Juden sagten nun zu Pilatus: Schreibe nicht: Der König der Juden, sondern dass JENER GESAGT HAT: Ich bin König der Juden!" Die Hohenpriester legen hier ein wichtiges Zeugnis darüber ab, dass Christus selbst Anspruch auf sein Königtum erhob. In der Tat liefern die abschließenden Szenen des irdischen Wandels unseres Herrn zusammen genommen den entscheidendsten Beweis dafür, dass sein künftiges jüdisches Königtum das wesentliche Merkmal seiner Messianität war – ein Merkmal, das bei volkstümlichen Predigten gänzlich außer Acht gelassen wird. Die Apostel lehrten nach der Himmelfahrt unseres Herrn genau dasselbe über diesen wichtigen Punkt. Wir lesen, dass die Juden von Thessalonich sie bei den Obersten der Stadt folgendermaßen verklagten:
"Diese, die den Erdkreis aufgewiegelt haben, sind auch hierher gekommen, die hat Jason beherbergt; und diese alle handeln gegen die Verordnungen des Kaisers, da sie sagen, DASS EIN ANDERER KÖNIG SEI: JESUS" (Apg 17,6-7).
Paulus verkündigte den Athenern genau dasselbe, als er auf dem Areopag stand und sprach (Apg 17,30.31):
"Nachdem nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen, weil er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis richten wird (bzw. im politischen Sinne des Wortes "beherrschen wird") in Gerechtigkeit DURCH EINEN MANN, DEN ER BESTIMMT HAT, und er hat allen dadurch den Beweis gegeben, dass er ihn auferweckt hat aus den Toten."
In der Tat besteht der große Leitgedanke der neutestamentlichen Lehre über Jesus darin, dass er "der Christus" ist, d.h. der Gesalbte, den die Propheten als den künftigen König der Welt angekündigt haben. Wenn man ihm dieses Königtum in Abrede stellt, dann leugnet man, dass er der Christus ist – denn die Salbung bezieht sich nicht nur auf seine Eigenschaft als "Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt", sondern auch auf seine künftige Regentschaft als Stellvertreter Gottes auf Erden. Sein "Gesalbtsein" ist in die Zukunft weisend. Es erreicht seinen krönenden Abschluss in "der Herrlichkeit, die geoffenbart werden soll" und von der "die Erde erfüllt sein wird, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken". Wer davon nichts weiß und die künftige sichtbare Messianität Christi leugnet, kann nicht in biblisch annehmbarer Weise bekennen, dass er der Christus ist, zumal ein solches Bekenntnis nur leerer Schall ist, wenn die aufgezeigten Dinge darin nicht zum Ausdruck kommen.
Dass Christus der künftige König der Welt ist, ist eines der freudigsten Wahrheiten der göttlichen Offenbarung. Welche Hoffnung gibt es sonst für diese sündengeplagte Welt? Sie hat nun viele Zeitalter hindurch unter ihrer schlechten Regierung geseufzt. Die Reichtümer der Erde liegen aufgehäuft in den Hallen einiger Übersättigter, während die breite Masse der Menschheit gezwungen ist, ein kümmerliches Dasein in Armut, Unwissenheit und Elend zu fristen. Die Güte Gottes wurde in betrügerischer Weise ausgenutzt. Die Vorräte, die für alle atmenden Lebewesen dieser Welt ausreichen, sind von den Skrupellosen und Starken auf räuberische Weise geplündert und vor den hungernden Millionen in ihren verfluchten Riesenspeichern eingelagert worden. Dies gilt für die heutige endzeitliche Zivilisation genauso, wie für die rauen Tage der Vorzeit – das gegenwärtige Regierungssystem, das durch seine lange Geschichte zu hohen Ehren gelangt ist, ist dabei lediglich etwas Respekt einflößender, zumal es den Schutz des Gesetzes genießt und als unentbehrliche Anordnung eines gut gelenkten Staates angesehen wird.
Und welche Schlechtigkeit erblicken wir unter dem Volk selbst! Wie geistig verarmt und moralisch verkommen sie sind! Wie gemein und selbstsüchtig! Wie kleinlich und heuchlerisch! Manche sagen, die Welt würde immer besser. Das ist ein Irrtum. Die Scharfsinnigkeit der Menschen nimmt zwar ständig zu, echte Charakterfestigkeit aber verkümmert von Jahr zu Jahr. Die Menschheit wird schlechter, je mehr sich die Zivilisation ausbreitet. Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit sind an der Tagesordnung. Ein durch und durch gesunder Menschenverstand und ernstgemeinte moralische Wertvorstellungen beschränken sich auf eine verachtete Minderheit. Das Wort Gottes wird gering geschätzt und der Glaube ist fast vom Erdboden verschwunden.
Wo können wir Trost für die Zukunft finden? Die Welt lässt sich nicht mit menschlichen Mitteln heilen. Ihre einzige Hoffnung liegt in der Wahrheit, die der Titel dieses Vortrags zum Ausdruck bringt. Ein großer Erretter wartet auf die festgesetzte Zeit des Segens. Christus, der zur Rechten Gottes sitzt, ist der künftige König der Welt. Er, der die Schmach eines Verbrechers am Kreuz erduldete, kommt, um die Ehre einer Weltkrone zu tragen. Und so dunkel auch die Wolken sind, die seiner erhabenen Ankunft vorangehen, und wie heftig die Erschütterungen auch seien, die die Befreiung der Erde begleiten, desto herrlicher wird der Tag sein, den er bringt, und ewig der Friede, der sich dann über die ewigen Hügel legt.