Joh 20,28 Mein Herr und mein Gott
Thomas antwortete und sprach zu ihm (Jesus): Mein Herr und mein Gott! Joh 20,28
Diese Aussage wird sehr gern als Beleg dafür angeführt, dass Jesus Gott sei. Wäre dies die einzige Aussage zu diesem Thema, könnte man dem auch ohne weiteres zustimmen. Als Ergebnis hätte man dann allerdings zwei Götter, denn mit dem, was Thomas sagt, wird Jesus nicht zum Vater gemacht, sondern eben Gott genannt, der Vater bleibt dabei weiterhin auch Gott, also zwei. (Manche Ausleger vertreten allerdings die Ansicht, dass sich die Aussage "Gott" von Thomas auf den Vater bezieht, siehe z.B. hier, während er mit "Herr" Jesus meinte.)
Was aber, wenn man den Kontext mit einbezieht? (Hier die ganze Passage im Wortlaut)
Ein paar Verse zuvor (V.17) sagt Jesus von sich, dass er zu seinem Gott auffahren werde. Und drei Verse weiter (V.31) schreibt Johannes als Verfasser dieses Evangeliums, dass er dies geschrieben habe, damit ihr glaubt, dass Jesus … der Sohn Gottes ist. In Kap. 17,3 (vom selben Verfasser) sagt Jesus, dass der Vater allein wahrer Gott ist.
Wenn Jesus von Thomas Gott genannt wird, Jesus selbst aber sagt, dass der Vater allein wahrer Gott ist, dann stellt sich vielleicht die Frage, wessen Aussage mehr Gewicht hat, die von Jesus oder die von Thomas. Im Grunde sollte das m.E. aber keine Frage sein, zumal auch etliche andere Menschen in der Bibel Gott genannt wurden (2.Mo 4,16; 2.Mo 7,1; Ps 82,6; Joh 10,34), ohne dass dadurch die Einzigartigkeit Gottes in Frage gestellt wird. Dementsprechend steht in 1.Kor 8,5-6a:
Und obwohl es solche gibt, die Götter genannt werden, es sei im Himmel oder auf Erden, wie es ja viele Götter und viele Herren gibt, so haben wir doch nur einen Gott, den Vater...
Etliche Gläubige sehen in dem Ausspruch von Thomas eine Anbetung Jesu, was der Text aber nicht hergibt. Und oft wird behauptet, dass Jesus durch sein Schweigen bestätigen würde, dass er Gott sei. Diese entnehmen also aus dem Schweigen Jesu Zustimmung, denn - so ihre Begründung - er hätte Thomas widersprochen, wenn es nicht so wäre. Ich halte es für mehr als fraglich, eine Lehre zu stützen auf das, was der Herr Jesus nicht gesagt hat und damit das, was er gesagt hat, zu verneinen. Gegenüber dem Schweigen Jesu hier sehen wir eine ausdrückliche Bestätigung der Worte von Petrus in Mt. 16,16 durch den Herrn Jesus, ja sogar mehr als das: Das Bekenntnis des Petrus ist quasi Gottes Antwort auf die Frage, wer Jesus ist:
Als aber Jesus in die Gegenden von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger und sprach: Was sagen die Menschen, wer der Sohn des Menschen ist? 14 Sie aber sagten: Einige: Johannes der Täufer; andere aber: Elia; und andere wieder: Jeremia oder einer der Propheten. 15 Er spricht zu ihnen: Ihr aber, was sagt ihr, wer ich bin? 16 Simon Petrus aber antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. 17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Glückselig bist du, Simon, Sohn des Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist. (Mt 16,13-17)
Jesus ist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Diese Aussage bestätigte der Herr Jesus sehr eindeutig und unmissverständlich. Das Bekenntnis, dass Jesus der Christus und der Sohn Gottes ist, ist die Grundlage, der Felsen, auf dem die wahre Gemeinde gebaut wird. Folgerichtig war dies eine der Hauptaussagen in der Lehre der Apostel. Aber zu dem, was Thomas sagte, äußerte sich der Herr Jesus mit keiner Silbe. Insofern erscheint mir das Bekenntnis des Thomas absolut kein tragfähiger Grund für irgend eine Lehre zu sein.