29. Ist Jesus GOTT oder ist er GOTT untergeordnet?

Fast alle Christen sind wegen ihres Glaubens, dass Jesus GOTT ist, „traditionalistische Trinitarier“ zu nennen. Die kirchliche Lehre von der Dreieinigkeit sagt, dass GOTT ein Wesen ist, das aus drei wesensgleichen, gleich-ewigen Personen besteht, - aus Vater, Sohn (Jesus Christus) und Heiligem Geist. Das Neue Testament beschreibt Jesus aber wiederholt als seinem GOTT und Vater untergeordnet, was ein Widerspruch zu ihrer Wesensgleichheit zu sein scheint; für viele Gelehrte ist dieses ein Paradoxon. Raymond E. Brown erkennt an, dass „es sogar in den neutestamentlichen Schriften, die von Jesus als GOTT sprechen, ebenso Abschnitte gibt, die gegen diesen Gebrauch zu sprechen scheinen.“

Dieser offensichtliche Konflikt tritt im Johannesevangelium sehr deutlich zu Tage. Traditionalisten und andere glauben, dass Jesus in diesem Evangelium vermutlich häufiger als GOTT identifiziert wird als im verbleibenden Rest der Bibel. Aus diesem Grund bezeichnen einige Neutestamentler diesen offensichtlichen Konflikt auch als „das johanneische Rätsel“.

Der johanneische Jesus gibt diese Unterordnung zu, wenn er behauptet, dass der Vater ihn gesandt, bevollmächtigt und ihm Vollmacht im Himmel und auf der Erde gegeben hat, einschließlich der Auferweckung der Toten und ihres Gerichts. Die vorrangige Frage ist, ob das vierte Evangelium uns Jesus als seinem GOTT und Vater im Wesen oder in der Funktion untergeordnet darstellt. Gemäß der kirchlichen Lehre von der Inkarnation kann Jesus nur in der Funktion dem Vater untergeordnet gewesen sein. Als der johanneische Jesus beschuldigt worden ist, sich GOTT gleich gemacht zu haben (Joh 5, 18), hat er dieses heftig bestritten, indem er seine wesensmäßige Unterordnung unter den Vater deutlich gemacht hat. Unmittelbar darauf hat er gesagt: „Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den Vater tun sieht; denn was der tut, das tut ebenso auch der Sohn.“ (V. 19) Und er hat noch hinzugefügt: „Ich kann nichts von mir selbst tun“ (V. 30). Er hat sich hierbei darauf bezogen, dass er gerade den Gelähmten am Teich Bethesda geheilt hatte (V. 8-9).

Mit der Unterordnung des Sohnes ist auch sein Gehorsam gegenüber dem Vater eng verbunden. Dass Jesus GOTT ist und zugleich GOTT gehorcht, sind jedoch zwei miteinander unvereinbare Konzepte. Der methodistische Traditionalist C.K. Barrett macht deutlich: „Es ist einfach nicht zu vertreten, dass man Jesus sagen lassen will: ‚Ich bin GOTT, der allmächtige GOTT des Alten Testaments, und als GOTT tue ich, was mir gesagt wird.‘“

Wenn Jesus dem Vater wesensmäßig untergeordnet ist, dann ist der Vater höherstehend als Jesus. Tatsächlich sagt der johanneische Jesus auch: „Der Vater ist größer als ich.“ (Joh 14, 28). Das griechische Wort das hier mit „größer“ übersetzt worden ist, ist meizon und bedeutet höher an Rang und Würde. Ganz offensichtlich passt dieser Unterschied zwischen dem Vater und dem Sohn nicht gut mit der traditionellen Sicht von ihrer angeblichen Gleichheit zusammen.

Die Unterordnung Jesu unter GOTT ist mit seiner Abhängigkeit von GOTT verbunden, was weiterhin darauf hinweist, dass er nicht GOTT gewesen sein kann. Denn Jesus hat sich auf den Geist GOTTES verlassen, um seine Wunder tun zu können. Der Apostel Petrus hat verkündigt: „Jesus, den Nazoräer, einen Mann, der von GOTT euch gegenüber erwiesen worden ist durch Machttaten und Wunder und Zeichen, die GOTT durch ihn in eurer Mitte tat, wie ihr selbst wisst.“ (Apg 2, 22). Petrus hat später noch einmal das Gleiche gepredigt: „Jesus von Nazareth, wie GOTT ihn mit heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat, der umherging und wohltat und alle heilte, die von dem Teufel überwältigt waren, denn GOTT war mit ihm“ (Apg 10, 38).

Petrus hat also die Machttaten, Wunder und Zeichen Jesu darauf bezogen, dass GOTT mit ihm gewesen ist und nicht, dass Jesus GOTT gewesen ist. Ein Titel, der im Neuen Testament auf Jesus bezogen wird und der mehr als jeder andere seine Unterordnung unter den Vater kennzeichnet, ist der Begriff „Knecht“. Petrus hat zu den Juden gepredigt: „Der GOTT unserer Väter, hat Seinen Knecht Jesus verherrlicht … Euch zuerst hat GOTT Seinen Knecht erweckt und ihn gesandt, euch zu segnen“ (Apg 3, 13 u. 26). Und die Jünger Jesu haben später zu dem Vater gebetet: „Deinen heiligen Knecht Jesus, den DU gesalbt hast … dass Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen Deines heiligen Knechtes Jesus“ (Apg 4, 27 u. 30).

Die Kirchenväter des 2. Jahrhunderts haben Jesus noch manchmal als den „Knecht“ GOTTES bezeichnet (Gr. pais). Die späteren Väter dagegen haben damit aufgehört. Joachim Jeremias, ein lutherischer Theologe und Orientalist, hat festgestellt, dass „die Bezeichnung Jesu als pais theou [Knecht GOTTES] in den heidenchristlichen Schriften bis zum Jahre 170 n. Chr. nur in elf Stellen und in drei Werken zu finden gewesen ist … Ab dem 5. Jahrhundert verschwindet pais vollkommen als Bezeichnung für Christus … Für die heidenchristliche Kirche hörte sich ersteres anstößig an, weil es nicht die volle Bedeutung der Majestät der verherrlichten Herrn herauszustellen schien.“

Jesus als Knecht zu bezeichnen schien der Sicht zu widersprechen, dass er GOTT ist. Sogar der Koran sagt über ihn: „Christus wird es sicher nicht aus Widerwillen ablehnen, Diener Gottes zu sein“ (Sure 4: 172).

Der Apostel Paulus hat sich in seinen neutestamentlichen Briefen sehr häufig auf die wesensmäßige Unterordnung Christi unter GOTT bezogen. Er hat gesagt: „Christus aber ist GOTTES“ und „des Christus Haupt aber ist GOTT“ (1. Kor 2, 23; 1. Kor 11, 3). Damit wollte Paulus mit Sicherheit sagen, dass GOTT größer als Christus ist. In der Tat hat Paulus auch geschrieben, dass GOTT der Vater „der selige und alleinige Machthaber“ ist (1. Tim 6, 15). Er hat erklärt, dass dieses bewiesen werden wird, wenn der Vater „zu Seiner Zeit“ „die Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus“ zeigen wird. Wenn der Vater der „alleinige Machthaber“ (gr. monos dunastes) ist und wenn Paulus dieses im Zusammenhang mit Christus und seiner Wiederkunft sagt, dann kann Christus dem Vater in der Souveränität nicht gleich und ebenbürtig sein.

Das deutlichste Hinweiszeichen auf die wesensmäßige Unterordnung Jesu unter GOTT ist die Prophezeiung, die Paulus über die letzte aufschlussreiche Handlung Jesu am Ende seiner Königsherrschaft macht. Paulus sagt über Jesus: „Wenn er das Reich dem GOTT und Vater übergibt … dann wird auch der Sohn selbst DEM unterworfen sein, DER ihm alles unterworfen hat, damit GOTT alles in allem sei“ (1. Kor 15, 24 u. 28; vergl. 1. Chr. 29, 11). Hier sehen wir den höchsten Akt der Unterordnung und es ist eine, die aus freien Stücken geschieht. Oscar Cullmann nennt ihn „den Schlüssel für alle neutestamentliche Christologie.“

Die Unterordnung Jesu unter den Vater ist auch in den Gebeten von Paulus zu erkennen. Nach den Grüßen in seinen Briefen fügt er oft hinzu, dass er in den Gebeten GOTT für diejenigen dankt, denen er schreibt. Auch wenn Paulus gelegentlich den Namen Jesu in seinen Bitten hinzufügt und herzlich in seinen Gebeten dankt, so richtet er seinen Blick immer auf die wesensmäßige Vorrangstellung des Vaters über Jesus, indem er diese Gebete immer allein an „GOTT (den Vater)“ richtet.

Zusammengefasst kann man sagen, dass die wesensmäßige Unterordnung Jesu unter den Vater zeigt, dass Jesus nicht GOTT war und ist.